Abschied von der Insel

Morgendämmerung.

Putin, die dicke schwarze Katze mit den leuchtend grünen Augen, sitzt regungslos im Gras.

Nebenan stoßen zwei Fasane mit schillerndem Gefieder ihre heiseren Schreie aus. Sie denken wohl darüber nach, ob sie die malerische Brücke überqueren sollen, in der Hoffnung, dass es auf der anderen Seite des Teichs etwas Nahrhaftes geben könnte.

Ich stehe am Fenster mit einer dampfenden Tasse Tee in meinen Händen und betrachte die Natur.

Es ist immer etwas los. Ab und an schleicht sich ein Reh vorbei. Tauben balgen sich. Hinter dem Wäldchen schnaubt ein Pferd, weil sein Reiter nur langweilige Runden auf der kleinen Koppel zieht.

Noch verrenken die Bäume ihre kahlen Äste in die Umgebung. Bis auf die hohen Fichten, die majestätisch freundschaftlich samt Nadelkleid herunter schauen.

Das Wäldchen, das sich bis zu einem kleinen Bach zieht, gehört zu den wenigen Baumansammlungen auf der Insel. Es gibt wenig Wald.

Als wir vor gut zwei Jahren hier gestrandet sind, kannten wir Fehmarn gar nicht. Es war mehr oder weniger Zufall, dass wir auf einer Insel, auf dieser Insel, gelandet sind.

Acht Jahreszeiten.

2 Sommer. 2 Herbste. 2 Winter. 2 Frühlinge.

Wir strandeten im Sommer. Also so wie wir die Ostsee kennen. Schwimmen, surfen, radfahren, Restaurants, Cafés und immer nah am Wasser.

Mitten in einer Ausnahmesituation dem Leben eine neue Richtung zu geben, ist schon ein Abenteuer an sich. Aber in einem Sommer, der die ersten Lockerungen nach Monaten der Isolation erlaubt, ist Urlaubsfeeling angesagt. Möwengeschrei vor dem Bürofenster und Feierabendschwimmen.

Mit Fehmarn haben wir einen Lebensort gefunden, wo Landwirtschaft eine neue Bedeutung erfährt. Die riesigen Felder zu bewirtschaften ist für die Bauern eine Herausforderung und sie arbeiten Tag und Nacht. Ja, besonders auch nachts.

Der Hund bekommt ein quiekendes Schwein und eine meckernde Kuh als Spielzeug und spielt den ganzen Tag Bauernhof.

Und sonst?

Die Insel hat 5 Leuchttürme. Und viele Windräder.

Der Maler Kirchner hat hier viele Werke geschaffen und war in die Gegend um Staberhuk verliebt. Jimi Hendrix hat hier sein letztes Konzert gegeben und der Krimi Nord bei Nordwest wird hier gedreht. Das Hauptstädtchen Burg ist eine Autostadt. Mit Kino.

Was politisch in dieser Zeit passiert:

Eine Gesellschaft übt Zusammenhalt in einer absoluten Ausnahmesituation, der Pandemie.

Erstmals bilden nach einer Bundestagswahl drei Parteien eine neue Regierung.

Am 1. Januar 2022 geht das letzte Kernkraftwerk in SH vom Netz. In Schleswig-Holstein wird kein Atomstrom mehr erzeugt.

In Europa herrscht Krieg.

Was ist wirklich wichtig?

Wenn eine auszieht, um auf einer Insel zu leben, dann phantasieren so manche, dass das ja auch mit Neuorientierung verbunden sein könnte.

Das war es hier so gar nicht.

Die Arbeit war keine unbekannte und viele Orte in Schleswig-Holstein sind mir seit Jahren sehr vertraut.

Aber die äußeren Umstände, die Pandemie, Natur- und Umwelterleben, der Wahlkampf und diese schreckliche Invasion in der Ukraine haben mich nachdenklich gemacht.

Die Arbeit ist unmittelbarer geworden. Schutzmaterial muss organisiert werden, Hygiene und Gesundheit sind tägliches Geschäft, Menschen brauchen Orientierung. Alte, arme, junge, kranke Menschen suchen in akuten Notlagen Hilfe. Feuerlöschen gehört zur Tagesordnung.

Vor welchen Herausforderungen Familien stehen, macht sich besonders deutlich in der Klinik, in der ich seit Anfang letzten Jahres Verantwortung trage. Gewalt, räumliche Enge, Bildungslücken sind nur einzelne der Herausforderungen, denen Familien während der Pandemie verstärkt begegnen müssen.

Migration und Flucht nehmen kein Ende. Afghanistan, Syrien, jetzt die Ukraine.

In diesen zwei Jahren entsteht ein Neudenken. Eine Neusortierung von dem, was Wesentlich ist. Manches andere rückt dafür in die Ferne.

Neustart.

In wenigen Wochen werden wir die Insel verlassen.

Die Zeit, die ich mit dem Inselleben verbinde, wird unvergessen bleiben. Die Ruhe, Kaminabende, gute Gespräche, Nachdenkliches, Naturverbundenheit. Aber auch das gewachsene Wissen um das, was Wesentlich ist.

Wie Gesundheit.

Die Gesundheit des eigenen Körpers, die unserer Gesellschaft, der Umwelt, unserer Arbeitsbedingungen, der politischen Verhältnisse verbunden mit der Frage wie wir leben, was wir daraus lernen und vielleicht tatsächlich endlich auch anders machen wollen.

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Antworten

  1. Abschied von der Insel. – Zeitzuteilen

    […] Abschied von der Insel. […]

  2. Avatar von Christian Müller (@sozialpr)
    Christian Müller (@sozialpr)

    Hallo Sabine,

    schöner Bilder lässt du da in deinem Text entstehen, da würde ich glatt umziehen wollen.
    Ich wünsche euch einen guten Neustart, egal wohin es geht.

    Viele Grüße,
    Christian

    1. Avatar von Sabine Depew
      Sabine Depew

      Danke, lieber Christian!

  3. Avatar von Kai
    Kai

    Huch, schon Abschied von Fehmarn? Rätselnd lässt Du eine/n zurück. Ob die Entfernung vom Arbeitsplatz (Geschäftsstelle) zu groß war? Neubeginn? Neues Zuhause? Oder alles neu? However, werde die Inselbilder vermissen. Lasst es Euch gut gehen und dem Neubeginn mit Freude und Elan bewältigen. Grüße aus dem Kölner Süden

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